Die Inkarnation des Bösen Belarus: Zwei Kurzkommentare zu Alexander Lukaschenko

Politik

Zum sogenannten „Konflikt“ an der belarussisch-polnischen Grenze veröffentlichte das deutsche Massenblatt die Bild-Zeitung Online und in Druckversion am 11. November zwei bemerkenswerte Kurzkommentare, die Titelschlagzeilen in riesig-alarmistischen Grossbuchstaben gefasst.

Alexander Lukaschenko und Vladimir Putin bei einem Treffen in Sochi, Russland, Februar 2021.
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Alexander Lukaschenko und Vladimir Putin bei einem Treffen in Sochi, Russland, Februar 2021. Foto: Kremlin.ru (CC BY 4.0 cropped)

13. Dezember 2021
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Wie auch immer das Geschehen an der belarussisch-polnischen Grenze ausgehen mag, eine nähere Betrachtung dieser zwei Kurzkommentare scheint empfehlenswert. Hier (leicht gekürzt) die Kommentare 1 und 2:

Kommentar zu Lukaschenk

Stürzt den Diktator!

Alexander Lukaschenko missbraucht Flüchtlingsfamilien als Waffen gegen Europa

von: Julian Röpcke 11.11.2021 - 10:11 Uhr

Der belarussische Diktator lässt Menschen 2000 Kilometer einfliegen, um sie vor unseren Augen leiden zu lassen. Er missbraucht Flüchtlingsfamilien als Waffen gegen Europa.

Was wir aktuell an der Grenze zwischen Belarus und Polen erleben, ist nicht nur eine Krise, sondern auch ein Angriff auf die EU und Deutschland.

Seit 15 Monaten ist Alexander Lukaschenko nach der gestohlenen Belarus-Wahl bereits im Amt. 15 Monate, in denen er seine Bürger gefoltert, inhaftiert und zu Flüchtlingen gemacht hat. Das sind 15 Monate zu viel. Jetzt wird der paranoide, grössenwahnsinnige Despot zu einer Gefahr für unseren Kontinent.

Am Dienstag drohte er mit dem Nukleararsenal seines Schutzpatrons Putin. Gestern schickte der Kreml zwei Atombomber nach Belarus. Darum kann es für Brüssel und Berlin nur eine Lösung geben: Sie müssen Diktator Lukaschenko stürzen! Die Sanktionen gegen ihn und sein Regime müssen maximal verschärft und ausgeweitet werden. Nicht, um ihn zum Einlenken zu bewegen – denn das ist vergebliche Liebesmüh – sondern, um ihn zu Fall zu bringen.

Deutschland völlig hilflos in der Flüchtlingskrise - Merkel bettelt bei Putin, Scholz schweigt

von: Albert Link, Julian Röpke und Peter Tiede 11.11.2021 - 13:15 Uhr:

BILD nennt die drängendsten Fragen: Wohin mit den Migranten?

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak (36) machte gestern bei BILD Live klar, dass Deutschland die Menschen nicht aufnehmen sollte. „Nein, ganz ausdrücklich Nein!“. Die Migranten müssten „nicht zwangsläufig in der EU“ bleiben. Man müsse z.B. mit der Ukraine über eine Aufnahme sprechen [...] Wie kann Putin gestoppt werden?

Noch-Kanzlerin Angela Merkel (67, CDU) versuchte es gestern per Bettel-Anruf: Sie bat Russlands Präsident Wladimir Putin (69), „auf das Regime in Minsk einzuwirken“, dessen „unmenschliches und inakzeptables“ Vorgehen zu stoppen. Problem: Putin steckt mit Lukaschenko unter einer Decke.

Wie kann Deutschland Polen unterstützen? Zum Beispiel beim Bau des Grenzwalls, forderte Bundesinnenminister Horst Seehofer (72, CSU) in BILD.“

1. Ein nicht erlaubter Gebrauch staatlicher Macht

Sowohl als Staatsmann, als Kenner und Praktiker zwischenstaatlichen Wirkens und des Geschäfts der Diplomatie, wie auch als Kenner und zeitweiser Mitmacher des Humanismus der deutsch-europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik, eröffnet der belarussische Staatspräsident Lukaschenko Flüchtlingen vornehmlich aus dem Irak, Afghanistan, (Nord-) Syrien und Afrika eine Fluchtperspektive nach Europa.

Anstatt sich als mit allen erdenklichen paramilitärischen und militärischen Hightech-Mitteln gesicherter Frontex-Frontstaat gegen unerwünschte „Migranten“ und Flüchtlinge aus allen Herren Länder zu bewähren und konstruktiv am europäischen Projekt eines souveränen, weltweit wirksamen „Migrations- und Flüchtlingsmanagement“ mitzuwirken, erlaubt sich Lukaschenko Gegenteiliges: Ganz anders als Polen oder die baltischen Staaten, die ihre staatliche Macht ganz im Sinne des deutsch-europäischen „Migrations- und Flüchtlingsmanagement“ gebrauchen, nimmt Lukaschenko sich ungefragt das Recht heraus, Flüchtlinge nicht zurückzuhalten, sondern Belarus vorübergehend zu einem durchlässigen Transitland zu machen und Flüchtlinge legal nach Belarus einfliegen zu lassen.

Mehr noch: Er gebraucht die politische Macht, indem er Flüchtlinge mit staatlicher Unterstützung an die belarussisch-polnische Grenze, die zugleich als EU-Aussengrenze des Schengenraums fungiert, befördert. Dieser vom Humanismus der deutsch-europäischen Wertegemeinschaft nicht genehmigte, eigenmächtige Gebrauch der politischen Macht in Belarus ist damit postwendend als ein Missbrauch staatlicher Macht an der Schengen-Aussengrenze definiert. Dies, zumal Lukaschenko damit das am 1.7.2020 in Kraft getretene Abkommen zwischen der EU und Belarus über "Visaerleichterung und über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt" vorerst auf Eis legt. Lukaschenko bedeutet seinem bisherigen "Vertragspartner" EU, nun nicht mehr als kooperativer Türwächter der EU-Migrations- und Flüchtlingspolitik zur Verfügung zu stehen.

Dieser Gebrauch der staatlichen Macht nach Aussen durch den belarussischen Staatsmann markiert den Beginn des sogenannten "Konflikts" an der belarussisch-polnischen (und baltischen) Grenze. Der Gebrauch der belarussischen staatlichen Macht nach Innen steht dabei noch auf einem gesonderten Blatt.

2. Ein Angriff – der besonderen Art

Der belarussische Diktator lässt Menschen 2000 Kilometer einfliegen, um sie vor unseren Augen leiden zu lassen. Er missbraucht Flüchtlingsfamilien als Waffen gegen Europa. (Bild-Zeitung)

Die Eröffnung einer möglichen neuen Fluchtroute nach Europa für das Strandgut amerikanisch-westlichen polit-ökonomischen und kriegerischen Wirkens im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika, ist für die abendländische Wertegemeinschaft gleichbedeutend mit einer absoluten Provokation. Dementsprechend eingeordnet und definiert als „hybride Attacke“ (Merkel auf der Pressekonferenz mit Morawiecki am 25.11.202). In den Worten des polnischen Ministerpräsidenten: „Lukaschenko hat versucht, diese Grenze zu testen. Er hat […] einige Tausend Migranten eingeladen.“ (Ebd.) Diesem „staatsgesteuerten Terror“ (Morawiecki) der darin besteht, Schutzsuchenden mit staatlicher Unterstützung eine mögliche Fluchtroute zu eröffnen, ist entschiedenst entgegen zu treten.

Lukaschenko, dem erfahrenem Staatsmann ist natürlich nicht entgangen, dass das Ziel eines global ausgreifenden, europäischen Migrations- und Flüchtlingsmanagement gewisse Verletzlichkeiten hervorbringt. Gegenüber dem Anspruch, höchst souverän die sogenannten „Migrations- und Flüchtlingsströme“ zu „managen“ (EU-Kommission), ist Lukaschenko's staatlich geförderte Flüchtlingsinitiative allerdings „ein Angriff auf die EU und Deutschland.“ (Bild-Zeitung) Eine zwar, was die Angriffswaffe betrifft, recht ungewöhnliche Art, einen Krieg gegen Deutschland und Europa zu eröffnen.

Andererseits eine insofern gelungene diplomatische Provokation, als auch nur die Perspektive und Eröffnung einer Fluchtmöglichkeit nach Europa das europäische Migrations- und Flüchtlingsmanagement in helle Aufregung versetzt: Auf der Ebene höchster Prinzipienfragen ist die europäische Souveränität tatsächlich verletzt: Zum einen, als mit der „drohenden“ Grenz-Verletzung des Schengenraums durch ein paar tausend Flüchtlinge und Schutzsuchende die territoriale Unversehrtheit und Gebietshoheit des Schengenraums berührt, „angegriffen“ ist. Schliesslich dienen Grenzen zu nichts anderem, als die territoriale Unversehrtheit und Gebietshoheit zu garantieren.

In den Worten des neuen deutschen Staatsoberhauptes: „Natürlich gibt es eine gemeinsame Klarheit darüber, dass die Unverletzlichkeit der Grenzen in Europa zu den Prinzipien gehört, die alle in Europa für gemeinsame Sicherheit akzeptieren müssen.“ (Olaf Scholz, 10.12.2021)

Zum anderen sieht sich das souveräne Management über das millionenfache, namenlose Strandgut weltweiten abendländischen Wirkens infrage gestellt: Lukaschenko nimmt sich, wie schon Erdogan oder Marokko die Freiheit, migrations- und flüchtlingspolitische Initiative zu ergreifen, die europäische Wertegemeinschaft ist genötigt, darauf zu re-agieren. Und das angesichts eines Staatsoberhauptes, dem, anders als dem Staatsoberhaupt des türkischen Nato-Partners, die faktische Anerkennung als Regierungschef seitens der europäischen politischen Machthaber seit August 2020 endgültig versagt sein soll.

3. Die souveräne europäische Antwort

Wir verteidigen hier die Aussengrenze der Europäischen Union. Wir verteidigen somit auch Deutschland vor einer grossen Welle von Migranten. (Morawiecki, Pressekonferenz, 25.11.2021) Deutschland völlig hilflos in der Flüchtlingskrise (Bild-Zeitung) Die resolute Antwort der europäischen Migrations- und Flüchtlingsmanager auf diesen „Angriff“ mit ein paar Tausend Flüchtlingen und Schutzsuchenden, erfolgt dem Selbstverständnis dessen, was europäische Souveränität heisst, auf dem Fuss. Einmal mit der offenherzigen Klarstellung des europäischen Sanktionspotenzials gegenüber der „Waffe“ von ein paar Tausend Schutzsuchenden an der polnisch-baltischen Schengenraumgrenze: „Die Europäische Union ist ja eine gewaltige internationale wirtschaftliche Organisation, wir sind 27 Staaten mit einer einheitlichen Wirtschaftspolitik, wir haben ein gewaltiges Potenzial, und wir haben auch ein Potenzial in der Beantwortung von Herausforderungen, die hier von ausserhalb der EU kreiert werden.“ (Morawiecki, Pressekonferenz 25.11.2021)

Im selben Atemzug erhält Belarus den Ehrentitel eines Schleuser-, Erpresser- und Schurkenstaates. Zum anderen benützt der polnisch-baltische Gebrauch der politischen Macht die an die Grenze des Schengenraums Gebrachten dazu, Lukaschenko und etwaigen Nachahmern nachhaltig zu demonstrieren, dass die „Waffe“ Flüchtlinge und Schutzsuchende ohnmächtig ist und wann und von wem auch immer organisiert, ins Leere laufen wird. Mit meterhohen Nato-Stacheldraht, einigen Tausend Soldaten, Polizeieinheiten, Schlagstöcken, Tränengas, Hunden und Wasserwerfern bei Minustemperaturen beweist die europäische Antwort gegenüber Lukaschenko's Versuch, „dass Menschen auch mit vollkommen falschen Versprechen nach Belarus gelenkt wurden.“ (Merkel, Pressekonferenz am 25.11.2021)

So ist die territorriale und migrationspolitische Souveränität und Freiheit Deutschlands und Europas wiederhergestellt und für die Zukunft festgeschrieben – eben auch als Botschaft und Warnung an die internationale Gemeinschaft und sonstigen politischen Machthaber, dass die „Waffe“ Schutzsuchende und Flüchtlinge keinerlei Erfolgsaussicht mehr hat. Dafür verdient der polnisch-baltische Gebrauch der politischen Macht Anerkennung und „die volle Solidarität“ (Merkel, Pressekonferenz am 25.11.2021); womit die Frage: “Wie kann Deutschland Polen unterstützen?“ (Bild-Zeitung) grundsätzlich beantwortet ist.

Dies ungeachtet eilends rechtsförmlich legalisierter, völkerrechtswidriger Push Backs und der Erklärung des Grenzgebiets zur für die Augen der Öffentlichkeit unzugänglichen militärischen Sperrzone; zu der ärgerlicher Weise nicht einmal Frontex Zugang hat, was die „volle Solidarität mit Polen“ (Merkel) aber nicht weiter beeinträchtigt. Was dennoch ans Licht der Öffentlichkeit dringt, ist der ohnehin seit Jahr und Tag entlang der Schengenraum-Aussengrenze und den europäischen Migrations- und Flüchtlingsmanagern wohlbekannte Umgang mit unerwünschten Flüchtlingen und Schutzsuchenden: sind die politischen Machthaber der Europäischen Union doch die gesetzgebenden „Verantwortlichen“, Subjekte und Regisseure dieses Umgangs; die gedeihliche Kooperation mit libyschen Warlords, mit der libyschen Küstenwache und libyschen Flüchtlings-KZ's und mit anderen staatlichen oder halbstaatlichen Gewalthabern in Afrika oder sonst wo darin eingeschlossen.

Der von einigen Menschenrechtsorganisationen unlängst beim Internationalen Strafgerichtshof (ICC) eingereichten Strafanzeige gegen die EU wegen „der Kollaboration bei schwersten Verbrechen an Flüchtlingen in Libyen“ können die europäischen Machthaber und ihre fachkundigen völkerrechtlichen Berater und Anwaltskanzleien einigermassen gelassen entgegensehen: schliesslich hat der deutsche Bundestag am 17. März 2021 die Fortsetzung der „Operation Eunavfor MED IRINI“, die nebst Überwachung des Waffenembargos gegen Libyen ausdrücklich militärisch die weitere Unterstützung und Ausbildung der libyschen Küstenwache vorsieht, beschlossen. Das europäische Migrations- und Flüchtlingsmanagement entlang eines alten Wortes: „Pardon wird nicht gegeben!“ (Wilhelm II. 27. Juli, 1900), macht also nicht halt: nicht an den Küsten des Mittelmeers, der Ägäis oder des Atlantiks, nicht am Ärmelkanal, selbstredend auch nicht an der polnisch-baltisch-belarussischen Schengen-Grenze.

Das „Leiden“ (Bild-Zeitung) der Schutzsuchenden und Flüchtlinge ist also keineswegs eine Tat des belarussischen Staatsmannes. Im Gegenteil: als ausgewiesener Kenner des europäischen Migrations- und Flüchtlingsmanagements rechnete er mit der gesamteuropäischen Schonungslosigkeit gegenüber unerwünschten Schutzsuchenden, um auf diese Weise die moralische Glaubwürdigkeit der europäischen Wertegemeinschaft vor aller Augen zu erschüttern; und darüber seine seit August 2020 mit allen Mitteln vorangetriebene Nichtanerkennung als legitimen belarussischen Staatspräsidenten wenigstens in den Augen der Öffentlichkeit zu relativieren; nicht zuletzt, um die europäischen Machthaber wieder an den Verhandlungstisch zu bringen.

Auf diese Weise möchte Lukaschenko einem Einlenken seitens der Erpressungen durch die europäischen politischen Machthaber den Weg bereiten. Und vielleicht eine Wiederaufnahme des europäisch-belarussischen Dialogs zu ermöglichen. Dieses diplomatische Ziel hatte der belarussische Staatspräsident zumindest zu Beginn der „Krise“ am polnisch-baltisch-belarusischen Schengen-Grenzzaun auch vor Augen.

Was aber das durch die polnisch-europäische Schonungslosigkeit verursachte Flüchtlingselend betrifft, so fällt das so hervorgebrachte Leiden der Schutzsuchenden und Flüchtlinge an der polnisch-baltischen Schengenraum-Grenze ganz zu Lukaschenko's Lasten: „Verantwortlich für dieses Leid sind Herr Lukaschenko und seine Helfer in Minsk.“ (Heiko Maas, 11.11.2021) So gerät die polnisch-baltische Schonungslosigkeit an der Grenze, geleitet von der Maxime, eine Erleichterung für die an der Grenze Harrenden kommt nicht in Frage, zum eindeutigen Schuldspruch und Schuldbeweis gegen Lukaschenko's diplomatische Initiative. Und die von der Bild-Zeitung konstruierte, demokratische wie rechtsradikale Problemfrage „Wohin mit den Migranten?“ (Bild-Zeitung)

Ja, wohin denn mit ihnen? - ist in der Fragestellung bereits beantwortet und von den europäischen politischen Machthabern von Anbeginn an klargestellt: Die gehören dahin, woher sie kommen, zurück in ihre Trümmerwüsten, zurück in ihre zerstörten und darniederliegenden failed states Afghanistan, Irak, (kurdisch-Nord-) Syrien, Jemen, Libyen, Afrika. Einen humanen Korridor nach Deutschland oder Europa gibt es nicht und wird es nicht geben; wenn doch, dann nur, wenn das europäische Migrations- und Flüchtlingsmanagement gute Gründe für sich dafür weiss.

Da mag Lukaschenko noch so sehr darauf dringen und Deutschland auffordern, es möge 2000 Migranten aufnehmen: „Deutschland hat die Aufnahme von 2000 Migranten aus Belarus abgelehnt. Eine entsprechende Forderung des belarussischen Präsidenten Lukaschenko sei für die Bundesrepublik und die EU keine ‚akzeptable Lösung". Denn es gilt auch im europäischen Migrations- und Flüchtlingsmanagement das alte Wort: „Pardon wird nicht gegeben!“ (Wilhelm II. 27.Juli 1900) Entlang dieser Maxime jederzeit frei zu bestimmen, wer das Hoheitsgebiet des Schengenraums betreten darf und wer sich der Anschuldigung des illegalen Grenzübertritts schuldig macht, ist völkerrrechtlich gedeckt. Wiederum in den Worten des neuen Bundeskanzlers am 8.12. 2021: „Wir haben eine ganz klare Haltung: Wir wollen, dass die Unverletzlichkeit der Grenzen von allen beachtet wird.“

Somit ist es ethisch-sittlich legitim und nur gerecht, wenn auch diejenigen, die sich möglicherweise als Privatpersonen oder Hilfsorganisationen der „Beihilfe zum unerlaubten Grenzübertritt“ schuldig gemacht haben könnten, der Strafverfolgung überstellt werden. Die griechische Gesetzgebung und Strafverfolgungspraxis ahndet in Übereinstimmung mit dem europäischen Migrations- und Flüchtlingsmanagement und in Übereinstimmung mit dem Gebot des Humanismus der Menschenwürde solche Vergehen mit bis zu 25 Jahren Gefängnis und einigen zig-Tausend Euro Strafe.

Wir wissen gerade in Bezug auf die Kurden, dass Menschen auch mit vollkommen falschen Versprechen nach Belarus gelenkt wurden. (Merkel, Pressekonferenz, 25.11.2021)

4. Über den Gebrauch von Menschen

Ich habe deshalb auch mit dem russischen Präsidenten über diese Situation gesprochen und glaube, dass auch von dort klar gesagt werden muss, dass Menschen nicht sozusagen zu hybriden Zwecken missbraucht werden dürfen. (Merkel, Pressekonferenz am 25.11.2021)

Die Subsumtion der Weltbevölkerung, der Menschheit und des blauen Planeten unter den Zweck des marktwirtschaftlichen Gewinns, sowie die dazu notwendige Subsumtion des Ganzen unter die okzidentale Weltaufsicht und Weltaufsichtskriege im Nahen und Mittleren Osten wie in Afrika, bildet die Urheberschaft des offensichtlich angebrochenen „Jahrhundert der Flüchtlinge.“ Das ist die Ursache, der Ausgangspunkt und Anfang des Leidensweges der Schutzsuchenden und Flüchtlinge. Im Millionenheer der sogenannten „Migrations- und Flüchtlingsströme“ ist die okzidentale Weltherrschaft mit dem Ergebnis der polit-ökomomischen Benutzung und Zerstörung der Heimatländer der Flüchtlinge, wie die Verwandlung ihrer Heimatländer in failed states durch die Weltordnungs-, „Befreiungs“- und Stellvertreterkriege seitens der okzidentalen Weltherrschaft konfrontiert.

Aber auch daraus weiss die okzidentale Weltherrschaft noch eine produktiv-nutzbare Anwendung zu machen: die freiheitliche Begutachtung, Differenzierung und Selektion der Weltbevölkerung und Schutzsuchenden nach unerwünschten und erwünschten Nichtinländern. Im 1949 grundgesetzlich garantierten Asylrecht („Politisch Verfolgte geniessen Asylrecht“) wie im Gastarbeiter-Import der 1950-iger und 1960-iger Jahre findet die moderne (aussen-) politische und ökonomische Instrumentalisierung der Menschheit ihren nachhaltigen Niederschlag nach dem Weltkrieg Nummer Zwei.

Das Asylrecht ist ohnehin dem Begriff nach nichts anderes als die (aussen-) politische Instrumentalisierung von Flüchtlingen gegenüber unliebsamen oder unliebsam gewordenen politischen Machthabern: gegenwärtig in Gestalt der aussenpolitische Instrumentalisierung der belarussischen Oppositionellen gegenüber den am polnischen Grenzraum gestrandeten, zurückgestossenen und misshandelten Flüchtlingen, auch sie, wie die Oppositionellen aus Belarus kommend.

Was den Gastarbeiter-Import und die aus ihm erwachsene zweite und dritte und folgende Generationen angeht: ganz unbesehen ihrer italienischen, griechischen, (ex-) jugoslawischen, türkischen oder sonstigen geographischen, ethnischen oder religiösen Herkunft zählen sie gleich den je Einheimischen und hier Geborenen als in Ware Arbeitskraft verwandelte Eigentums- und Mittellose. Als solche Existenzen konkurrieren sie auf dem dem entsprechenden Markt darum, um ihres (Über-) Lebens willen ein Leben lang vom Gewinninteresse benutzt, gebraucht und konsumiert zu werden. Haben sie Glück und lohnen sich ihr Gebrauch und ihre ökonomische Instrumentalisierung für das betriebs- und marktwirtschaftliche Gewinninteresse, dann können sie (über-) leben; und zwar soweit, soweit ihre Bezahlung im Austausch reicht. Aber auch nur soweit. Lohnt sich ihre produktive Konsumtion nicht für das betriebs- und marktwirtschaftliche Gewinninteresse, dann ist es über das Pech hinaus sprichwörtlich: ein grosses Unglück. Gleich irgendwelchen nutzlosen Gegenständen schickt, entlässt sie das Gewinninteresse auf die Strasse.

Von der Perspektive Staat, Standort und Nation aus betrachtet, zählen die mittellosen in- und ausländischen Eigentümer ihrer Arbeitskraft prinzipiell als sogenannte Kapital-, Human- oder Standort-Ressource. Sind diese Eigentümer sogar staatsbürgerrechtlich anerkannte Mitglieder des eigenen, eben des Staats-Volkes, dann steht einer weiteren Benutzung, Instrumentalisierung und Konsumtion dieses ausgewiesenen Menschenschlages nichts im Wege: als Mitglied des Volkes, der lebendigen Säule des Staates, steht jeder Einzelne wie das gesamte Volk als aussen- und innenpolitische Dispositionsmasse, als leibhaftiges Material der staatlichen Planung zur Verfügung, von der Wiege bis zur Bare.

Am sinnfälligsten beim „Staatsbüger in Uniform“: Den setzen die politischen Machthaber hier wie andernorts in ganz anderer Weise als Lukaschenko mit seinem Versuch ein. Nicht einfach nur zu „sozusagen hybriden Zwecken“ (Merkel). Sondern als staatlich beauftragte Gewalttäter, als lebendiges Tötungs- und Vernichtungsinstrument, ausgestattet mit modernsten technisch-gegenständlichen Tötungs- und Vernichtungsinstrumenten. Entlang der Losung: „Das Volk […] Es ist unabhängig von den gerade gegenwärtig Lebenden, denn es bleibt im Wechsel der Individuen bestehen.“ (Jellinek, 1929) So sind der Einzelne wie das Volk des Staates in jedem Fall Material, Instrument von Staat, Standort und Nation, wie es denn auch allerorten verkündet wird und heisst: „Die Kinder sind unsere Zukunft“. Oder, mit anderen Worten:

Die Kinder der Armen sind im Frieden zukünftiges Material der Ausbeutung und im Krieg das Ziel der Sprengstoffe und Giftgase. (M.Horkheimer, 1932)

5. Der richtige Gebrauch der staatlichen Macht

Dass ein Staatsmann wie Lukaschenko dem „Druck der Strasse“ nicht nachgibt, ist alles andere als ungewöhnlich. Staat, Standort und Nation zusammen zu halten; darauf zu achten, dass gesellschaftliche Abweichungen, ziviler Widerstand und Ungehorsam, (partei-) politische und ausserparlamentarische Opposition unter staatlicher Kontrolle bleiben, den legalen, den erlaubten Weg des Opponierens nicht verlassen und den gewöhnlichen Gang des Regierens, nicht grundlegend stören; all dies gehört zum ganz gewöhnlichen Geschäft des Regierens.

Wenn allerdings gesellschaftliche Spaltung oder Polarität sich auftut; wenn alle patriotischen Appelle nicht mehr fruchten; wenn ein ansehnlicher Teil der Bevölkerung erkennen lässt, dass er auf dem Weg ist, den gesellschaftlichen Grundkonsens und Allgemeinwillen, den Volonté Générale (Rousseau) aufzukündigen; wenn das sogenannte „Vertrauen“ in die Politik endgültig im Schwinden scheint und die geltende Staatsräson und Ausrichtung des Landes offensichtlich beiseite geschoben werden soll; wenn geltendes Recht und Ordnung allgemein als Unrecht empfunden wird und deshalb Widerstand zur sittlich und ethisch gerechtfertigten „Pflicht“ (G.Radbruch, 1946) und allgemeinen gesellschaftlichen Maxime wird; wenn also allgemeiner politischer Aufruhr überhand zu nehmen scheint; wenn gesellschaftliche Anarchie, Bürgerkrieg oder gar Staatszerfall wohl kaum noch aufzuhalten sind; wenn Revolution droht, das Staats- und Herrschaftsgebäude umzustürzen; dann sind beim diagnostizierten Staatsnotstand Staat, Standort und Nation zu retten.

Die Notstandgesetze legitimieren beim fälligen Staatsrettungsprogramm so gut wie alle Gewalt. Ist dann doch der Bürgerkrieg, der Kampf um das staatliche Gewaltmonopol ausgebrochen, dann war die mit Notstandsgesetzen und Staatsrettungsprogramm legitimierte und eingesetzte Gewalt vergeblich. Dann ist das Niederhalten und Niedermachen des Drucks der Strasse und der staatsgefährdenden Opposition misslungen. Erreicht es dann keine Seite, das staatliche Gewaltmonopol zu ergreifen oder neu zu institutionalisieren, dann erhebt sich ein failed state auf dem Trümmerfeld des Bürgerkriegs. Oder die staatliche Macht wird mit freundlicher Unterstützung fremder Gewalten, fremder Souveräne neu eingerichtet; mit einem Herrschaftspersonal, dass seine Souveränität und Unabhängigkeit darin gesichert weiss, dass es den unterstützenden Souveränen wohlgesonnen ist.

Nichts von all dem ist den okzidentalen politischen Machthabern fremd. Ist es doch Element ihrer ureigensten Staatsräson und praktischen Staatstätigkeit, nach Innen, wie nach Aussen. Ein Unterschied zwischen Lukaschenko's Staatsräson und praktischer Staatstätigkeit und der seiner europäisch-okzidentalen Artverwandten ist darin nicht auszumachen. Insofern gebraucht Lukaschenko die staatliche Macht wenn auch ausgewiesen brutal, ganz nach den Massstäben seiner westlichen Artverwandten: Zur Rettung von Staat, Standort setzt er dieses allgemein geltende staatserhaltende Rettungsgesetz ganz „richtig“, nämlich ganz staatsmännisch in Kraft.

Dass ihm, anders als seinen europäisch-okzidentalen Artverwandten, jede Macht fehlt, andere politische Souveräne zu destabilisieren; oder gar existierende Staatsgebäude, sei es mittels zivilgesellschaftlicher Agitation und tatkräftiger Unterstützung der Opposition, sei es durch einen veritablen Krieg, sei es mit beidem, zum Einsturz zu bringen, um politische Herrschaften zu inthronisieren; politische Herrschaften, die im neuen Staatsgebäude die staatliche Macht gefügiger, kooperationsbereiter, also „richtig“ zu gebrauchen wissen; notfalls auch mit Folterkammern, sofern diese nicht gleich selbst als Black Sites irgendwo in der weiten Welt betrieben werden von der einen staatlichen Macht, die sich das auch leisten kann; oder mittels Anstiftung zum Aufruhr und Krieg failed states als Trümmerwüsten zu hinterlassen; gegebenfalls neuen, unliebsamen Herrschaften den Zugriff auf die finanziellen Mittel ihre Herrschaft zu blockieren und die materielle Basis des neuen staatlichen Gebildes so zu boykottieren, dass darüber eine „humanitäre Katatrophe“ mit drohendem Hungertot für Abertausende oder Millionen herannaht, wie beispielsweise in Afghanistan; zu all dem fehlen Lukaschenko und Belarus, bei aller sonstigen Gleichartigkeit des Gebrauchs der staatlichen Macht durch seine Artgenossen in der westlichen Hemisphäre, jede Macht und Mittel.

6. Europäische Entscheidungshilfen für Belarus-Lukaschenko

Seit 15 Monaten ist Alexander Lukaschenko nach der gestohlenen Belarus-Wahl bereits im Amt. 15 Monate, in denen er seine Bürger gefoltert, inhaftiert und zu Flüchtlingen gemacht hat. Das sind 15 Monate zu viel. (Bild-Zeitung)

Bei aller Bevorzugung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie wegen deren gut berechenbarer Stabilität bei fremden Souveränen: Der Gebrauch der staatlichen Macht nach Innen durch einen fremden Souverän; auch ein noch brutales Vorgehen einer staatlichen Macht gegen Oppositionsbewegungen im eigenen Land, ist für die europäisch-abendländischen politischen Machthaber und Staatenlenker für sich genommen kein Anlass, solchen Gebrauch der staatlichen Macht zu verurteilen und zu verdammen. Ist es doch prinzipiell der richtige Gebrauch der staatlichen Macht gegenüber drohendem Staatszerfall oder gar Revolutionen. Auch die Durchführung und der Ausgang einer demokratischen oder weniger demokratischen Wahl löst, für sich genommen, bei den europäisch-abendländischen poltischen Machthabern keinen unbedingten Handlungsbedarf aus.

Weder eine Wahl, ihre Durchführung und ihr Ausgang, noch der sonstige, auch diktatorische Umgang eines fremden Staatenlenkers oder staatlichen Souveräns mit der landeseigenen Opposition, nötigt die politischen Machthaber in der westlichen Hemisphäre zu einem vorschnellen Urteil darüber, ob der zu begutachtende Gebrauch der staatlichen Macht nach Innen durch einen fremden Souverän gut zu heissen oder zu verurteilen ist. Einzig die wirkliche, die praktische Stellung, die der unter ständiger Beobachtung stehende Staat oder Staatenlenker zum begutachtenden Westen und dessen Ansprüchen einnimmt, entscheidet darüber, ob der Gebrauch der staatlichen Macht nach Innen Gefallen findet oder missfällt. Der Gebrauch der staatlichen Macht im Umgang mit der Opposition ist kein Beurteilungs- und kein Entscheidungskriterium darüber, ob der Gebrauch der staatlichen Macht nach Innen „richtig“ oder falsch ist.

„Falsch“, zu verurteilen, zu verdammen, zu verachten ist dieser Gebrauch der staatlichen Macht dann, wenn der in Frage stehende Souverän den an ihn gestellten Ansprüchen einfach nicht genügen will. Verdächtig macht sich ohnehin eine augenfällige, über das gewöhnliche diplomatische und praktische Mass hinausgehende, stolze Betonung der nationalen Unabhängigkeit und Souveränität, wie etwa: „ Wir haben zum ersten Mal in unserer Geschichte einen unabhängigen und souveränen Staat Belarus aufgebaut. [...] Fest steht aber, dass Belarus ein unabhängiger und souveräner Staat ist. Das ist ein Wert." (Lukaschenko, 30.11.201) Ein „Wert“, an dem das belarussische Staatsoberhaupt von Anbeginn an sowohl gegenüber deutsch-europäischen wie gegenüber russischen Ansprüchen festgehalten hat. Bislang.

Dieser „Wert“ erweist sich gegenüber den zunehmend masslosen Ansprüchen seitens der westlich-okzidentalen Machthaber als immer unberechenbarer und widersetzlicher. So wird aus Lukaschenko anderes und mehr als nur ein fast drei Jahrzehnte währendes Ärgernis und unhandlicher Störenfried an Europa's östlicher Aussengrenze, so nahe schon an Russland und der Ukraine heran. Es ist Abschied zu nehmen von einer europäischen Weissrusslandpolitik, gekennzeichnet durch Dialog, Kooperation, Missbilligung, Verurteilung, Umsturzstrategien, Enkreisungs- und Einvernahmeversuchen. Ein neues, eine anderes Zeitalter ist angebrochen. Doch immer noch zeigt das belarussische Staatsoberhaupt keinerlei grundlegenden Abstand zu seinem unmittelbaren russischen Grenznachbar, zum erklärten Feind; wie eh und je neigt er dem zu, anstatt sich unmissverständlich und praktisch einzureihen in die Front gegen den erklärten Feind.

Gerade heute, in diesen Zeiten, leistet er sich diese belarussische Unabhängigkeit und Souveränität. Gerade dann, wenn die Feindschafterklärung zur offenen Kriegsbereitschaft gegen den Feind heranreift und die geostrategische Lage die Zurichtung des Landes zum Frontstaat so dringlich, so empfehlenswert macht. Stattdessen aber verhindert Lukaschenko einen Staatszerfall und damit die Perspektive einer gänzlichen Neuausrichtung, einer entschlossenen Westorientierung und Integration in das westliche, antirussische Kriegsbündnis. Und nimmt sich das Recht und die Freiheit heraus, in diesem historischen Augenblick die staatliche Macht dazu zu gebrauchen, Schutzsuchenden und Flüchtlingen eine Fluchtroute nach Europa anzubieten. Jetzt, da die Bündelung aller antirussischen Kräfte an der Grenze zu Russland in Angriff zu nehmen ist.

So ist die Zeit gekommen, Lukaschenko und seine seit 1994 betriebene Art, belarussischen Staat zu machen und einen belarussisch-nationalen Sonderweg einzuschlagen, vor die Frage zu stellen: neigt er dem antirussischen Kriegsbündnis zu oder macht er Ernst mit einer wie auch immer gearteten „Union“ mit Russland; oder gedenkt er, den belarussisch-nationalen Sonderweg weiterhin offen zu halten und auf einer ausgeprägten belarussischen Unabhängigkeit zu bestehen?Sanktionsregime, definitiver Entzug der Anerkennung Lukaschenko's als belarussischem Staatsmann und Staatsoberhaupt, weitere Sanktionsdrohungen, schliesslich die Instrumentalisierung der Schutzsuchenden und Flüchtlinge an der polnisch-baltischen Schengenraum-Aussengrenze in Form der unbedingten Zurückweisung: diese diplomatischen Botschaften sind als Entscheidungshilfen gedacht und sollen Lukaschenko den rechten Weg zur Entscheidungsfindung weisen.

7. Lukaschenko's Antwort

„Wie kann Putin gestoppt werden? Problem: Putin steckt mit Lukaschenko unter einer Decke.“

Zwar hat Lukaschenko auch aus belarussischem Interesse mit Einschränkungen der eröffneten Fluchtroute begonnen und mitgeholfen, Rückflüge von Flüchtlingen in den Irak und nach (Nordost-) Syrien zu bewerkstelligen, neben der weiterhin bestehend Forderung, Deutschland und Europa möge seine Grenzen für die verbliebenen Gestrandeten öffnen. Auf die grundlegenden und ultimativen Entscheidungshilfen seitens der europäischen Machthaber und ihres transatlantischen Partners antwortet das belarussische Staatsoberhaupt andererseits in einem langen Interview am 1. Dezember 2021 in dreifacher Weise. Einmal dahingehend „Wir alle haben verstanden, dass die Krim de facto – ich sagte damals de facto – russisch ist. Nach dem Referendum wurde die Krim auch de jure russisch.“

So weit hat sich das belarussische Staatsoberhaupt erstmal gegenüber den westlich-transatlantischen Ansprüchen und Forderungen festgelegt, unter anderem mit dem Hinweis: „Ich kenne Putins Position: auf keinen Fall sollte es NATO-Truppen auf der Krim geben.“

Damit nicht genug, bedeutet Lukaschenko seinen ehemaligen europäischen Partnern, dem NATO-Bündnis und seinem transatlantischen Oberbefehlshaber angesichts der Ukraine-Frage und der Tatsache, dass die Einverleibung der Ukraine ins Nato-Bündnis in der Ukraine verfassungsrechtlich festgeschrieben ist, nunmehr mit diesen drastischen Worten: „Ich werde in dieser Situation, bei dieser Politik, niemals auf der Seite der Ukraine stehen. Ich werde auf der Seite derer stehen, die die Ukraine retten wollen und sie nicht in eine Brutstätte der Aggression a) gegen das brüderliche Russland und b) gegen das noch brüderlichere Weissrussland verwandeln wollen […] Ich werde alles tun, damit die Ukraine zu uns gehört. Sie ist unsere Ukraine, das dort ist unser Volk..“

Sollten, womit nicht nur der belarussische Staatsmann rechnet, die offensiven, auch atomaren Einkreisungs-Intitiativen seitens der NATO in der Ostsee, im Baltikum, um Kaliningrad herum, in Polen, in Rumänien, in Bulgarien, in und mittels der Ukraine und am Schwarzen Meer voranschreiten, dann hat Lukaschenko's ideell aufgestellte russisch-belarussisch-ukrainische Volks-Einheit eine Antwort bereit:

Dann werde ich Putin vorschlagen, die Atomwaffen an Weissrussland zurückzugeben […] Darauf werden wird uns einigen, welche genau. Es wird die Nuklearwaffe sein, die für einen solchen Konflikt am effektivsten ist. Wir sind auf dem Territorium von Weissrussland dazu bereit. Als umsichtiger, Verzeihung, Hausherr habe ich nichts zerstört. Alle „Startrampen“ stehen bereit. Denn wir haben eine gemeinsame Einheit des Unionsstaates.(Lukaschenko)

Diese Antwort Lukaschenko's auf die nicht nur bei der Bild-Zeitung kursierende Frage „wie kann Putin gestoppt werden?“ scheint sich allem Anschein nach dem zu verdanken, dass Putin und Lukaschenko gemeinsam „unter einer Decke stecken“, um ihre böswilligen und hinterhältigen Pläne auszuhecken. Mit anderen Worten: Weil und solange Lukaschenko sich nun weltöffentlich sichtbar an die Seite des absoluten Feindes der abendländisch-humanen Wertegemeinschaft stellt und sich wohl entschieden nunmehr weigert, sich in die Front der atomaren Einkreiser Russlands einzureihen, verdient er die gänzliche Verurteilung und Verachtung. Gleich dem russischen Staatsoberhaupt geschieht auch eine seltsame Verwandlung mit ihm:

Als Alexander Lukaschenko eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Seine vielen, im Vergleich seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen. (frei nach F. Kafka, die Verwandlung, 1912)

8. Die Inkarnation des Bösen – Aufruf zum Staatsumsturz

Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch ausser derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille (Kant, 1785)

Dass Europa und der transatlantische „Partner“ grundlegend die Verkörperung des sittlich-ethischen Guten und Humanen darstellen und, abgesehen von gelegentlichen Abirrungen vom rechten Weg, vom „allein guten Willen“ (Kant) in all ihren Ideen, Vorhaben und Handlungen beseelt sind, bildet, „ohne Einschränkung“ (Kant), das Selbstbewusstsein und Selbstgefühl der deshalb so genannten europäisch-abendländischen Wertegemeinschaft und Werteunion. So heiss es mit Selbstgewissheit, dass „die Europäische Union stark (ist), weil sie eine Werteunion ist“ (A.Baerbock-Interview, 26.4.2021).

In überragender Mehrheit ist das auch das Selbstbewusstsein und Selbstgefühl der in Europa und NATO eingemeindeten Völkerschaften. Alle von der europäisch-abendländischen Werteunion und dem transatlantischen „Freund“ und Partner getätigten politischen Handlungen, dienen, im Frieden wie im Krieg, der Menschheit und der Menschlichkeit, wobei aus sittlicher Verantwortung diesem hohen Ziel gegenüber zu beachten ist: „Man muss immer im konkreten Fall prüfen, ob ein Einsatz zu mehr oder zu weniger Leid führen wird und ob er auf dem Boden des Völkerrechts steht.“ (A.Baerbock, ebd)

Es gäbe nicht das gute Gewissen und das (Selbst-) Gerechtigkeitsbewusstsein der europäischen politischen Machthaber und ihres US-Partners, stünde ihnen nicht von jeher der allein böse Wille, personifiziert im jeweils auserkorenen (aussen-) politischen Feind gegenüber. Erweist sich der Feind als endgültig widersetzlich; beugt er sich nicht den an ihn gestellten, zuweilen immer massloseren Ansprüchen; gibt er seinen Widersetzlichkeit nicht auf und räumt von sich aus das Feld; ergreift er seinerseits Massnahmen, um sich gegenüber den an ihn gestellten Ansprüchen zu behaupten, anstatt Einsicht zu zeigen und aufzugeben; dann muss als erstes gesagt werden: „Für mich ist eine wertegeleitete Aussenpolitik immer ein Zusammenspiel von Dialog und Härte.“ A.Baerbock-Interview, 1.12.2021)

Da, wie es scheint, Russland und nunmehr auch Belarus unter Lukaschenko den an sie gestellten Ansprüchen und Aufforderungen unübersehbar die Stirn bieten, beweisen sie damit nur dies: die absolute Bösartigkeit ihres Willens wie ihrer Natur. In souveräner und ignoranter Umkehrung der Wirklichkeit heisst es vom „Deutschland völlig hilflos in der Flüchtlingskrise“ (Bild-Zeitung):

„Jetzt wird der paranoide, grössenwahnsinnige Despot zu einer Gefahr für unseren Kontinent.“ (Bild-Zeitung)

Also muss gegen diesen neuen, uns alle existenziell bedrohenden Fidel Castro, Ayatollah Khomeini, Slobodan Milosevic, Osama bin Laden, Muammar, Gaddhafi, Saddam Hussein, Bashar al-Assad, Kim Jong Un mit aller „Härte“ vorgegangen werden. Das erfordert, „den Feind gleichzeitig in moralischen und anderen Kategorien herabsetzen und zum unmenschlichen Scheusal machen müssen, das nicht nur abgewehrt, sondern definitiv vernichtet werden muss, also nicht mehr nur ein in seine Grenzen zurückzuweisender Feind.“ (C.Schmitt, 1932)

Da Lukaschenko als Antwort auf die auch atomare Einkreisung durch die NATO seinerseits die atomare Wiederbewaffnung von Belarus durch Russland in Aussicht stellt und Putin nicht gewillt ist, der weiteren NATO-Einkreisung tatenlos zuzusehen, gibt es als ersten Schritt nur eins:

Darum kann es für Brüssel und Berlin nur eine Lösung geben: Sie müssen Diktator Lukaschenko stürzen! Die Sanktionen gegen ihn und sein Regime müssen maximal verschärft und ausgeweitet werden“ (Bild-Zeitung) – empfiehlt in aller Dringlichkeit das völlig verängstigte und „hilflose Deutschland.“

Gelingt auch dies nicht gegenüber Belarus und Russland, dann ist die letzte Konsequenz in Erwägung zu ziehen, gemäss der Logik einer kriegsführenden, abendländischen Werteunion:

Die Führung des Namens »Menschheit«, die Berufung auf die Menschheit, die Beschlagnahme dieses Wortes, alles das könnte, weil man nun einmal solche erhabenen Namen nicht ohne gewisse Konsequenzen führen kann, nur den schrecklichen Anspruch manifestieren, dass dem Feind die Qualität des Menschen abgesprochen, dass er hors-la-loi und hors l'humanité erklärt und dadurch der Krieg zur äussersten Unmenschlichkeit getrieben werden soll. (C.Schmitt)

Dann hat das Bild des Feindes seine Prüfung gegenüber dem auserwählten politischen Feind wieder einmal bestanden.

Manfred Henle

Quellen:

▪ Horkheimer, Max, Dämmerung und Notizen in Deutschland, in: Ges. Schriften Bd.2, Frankfurt/Main, 1987

▪ Jellinek, Georg, Allgemeine Staatslehre, Berlin, 1929

▪ Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten [1785], Stuttgart, 1998

▪ Schmitt, Carl, Der Begriff des Politischen, Berlin, 1932


Internet:

https://de.rt.com/international/127847-baerbock-will-dialog-und-harte (1.Dezember 2021)

https://www.gruene.de/artikel/mit-dialog-und-haerte (26.04.2021)

https://www.anti-spiegel.ru/2021/teil-1-des-zweistuendigen-interviews-mit-lukaschenko-ukraine-krim-donbass/ (6.12.2021)

https://www.anti-spiegel.ru/2021/teil-1-des-zweistuendigen-interviews-mit-lukaschenko-ukraine-krim-donbass/ (7.12.2021)

https://belarusinfo.de/index.php?article/182-lukaschenko-weiteres-aus-dem-interview-mit-dem-generaldirektor-von-rossija-segod/ (3.12.2021) https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/0d9697d3-cb0b-11e5-a4b5-01aa75ed71a1/language-en (3.2.2016)

https://www.statewatch.org/media/documents/news/2016/jan/eu-directive-facilitation-of-unauthorised-entry.pdf (28.11.2002)

https://www.rnd.de/politik/olaf-scholz-zum-ukraine-konflikt-konsequenzen-wegen-verletzung-der-grenze-LABCOMS76BZDGJZMD3DENCJ33M.html (8.12.2021)

https://www.tagesschau.de/inland/lukaschenko-fluechtlinge-deutschland-101.html (22.11.2021)

https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/maas-bt-belarus/2495458 (11.11.2021)

https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/bundeswehr-irini-1877338 (17.3.2021)

https://www.pressenza.com/de/2021/12/beihilfe-zum-fluechtlingsmord-ii (2.12.2021)

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1601287338054&uri=COM%3A2020%3A609%3AFIN (23.9.2020)

https://www.bild.de/politik/kolumnen/kolumne/kommentar-zu-lukaschenko-stuerzt-den-diktator-78210028.bild.htm (11.11.2021)

https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/belarus-lukaschenko-fluechtlingskrise-eskaliert-merkel-bettelt-bei-putin-scholz-schweigt-78209506.bild.html (11.11.2021)

https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzlerin-merkel-und-ministerpraesident-morawiecki-zum-besuch-des-ministerpraesidenten-in-deutschland-am-25-november-2021-1985114 (Pressekonferenz Merkel-Morawiecki, 25.11.2021)

https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2020/05/27/belarus-eu-concludes-agreements-on-visa-facilitation-and-readmission/

https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2401520/7b73999b477e019826f3f6994b48902e/eu-blr-abkommen-data.pdf (9.6.2020)

https://www.merkur.de/politik/scholz-ueber-ukraine-konflikt-russland-soll-die-unverletzlichkeit-der-grenzen-respektieren-91171590.html?itm_source=story_detail&itm_medium=interaction_bar&itm_campagin=share (Olaf Scholz, 10.12. 2021)